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Die Scapigliatianhänger Am Übergang vom »Realismus« zum »Symbolismus« steht das psychologische Erzählwerk Antonio Fogazzaros. Seine Romane begreifen Literatur nicht zuletzt als ästhetischen Weg aus der moralischen Krise, die durch die sozialen Umwälzungen und den wissenschatlichen Fortschritt entstanden war. Vom französischen Symbolismus in der Tradition Charles Baudelaires ließ sich die Autoren- und Malergruppe "SCAPIGLIATURA" inspirieren, die sich zwischen 1860 und 1880 in Mailand und Piemont konstituierte und ihren antibürgerlich-exzentrischen und ausschweifenden Lebens- und Darstellungsstil in der Art der "Bohème" bereits im Namen (von italienisch: die Haare zersausen) anklingen ließ.

Deutlich floss dabei in die Poetologie des Kreises um Emilio Praga, Arrigo Boito, Igino Ugo Tarchetti, Carlo Dossi, Tranquillo Cremona und Giovanni Camerana auch der Synästhesie-Gedanke der deutschen Romantik ein. Weitere Vorbilder waren die deutschen Dichter Novalis (Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg), Friedrich Hölderlin, Ernest Theodor Amadeus Hoffmann und Heinrich Heine. Viele dieser Autoren wurden von den Mitgliedern ins italienische übersetzt.
Als einer der Wortführer dieser Bewegung - zu der neben dem Komponisten Amilcare Ponchielli auch die später etablierten Librettisten Antonio Ghislanzoni und Giuseppe Giacosa gehörten - profilierte sich bald der kaum mehr als zwanzigjährige Arrigo Boito.

Im Gefolge Arrigo Boitos sahen die "Scapigliati" und ihre unmittelbaren Nachfolger - darunter auch Alfredo Catalani - die Zukunft in einer Verbindung der klassischen Instrumentalmusik des 18.Jahrhunderts mit den Errungenschaften Franz Liszts und Richard Wagners. Folgerichtig verwandten die meisten damals in den Vordergrund tretenden Opernkomponisten nordische oder klassisch-antike Stoffe und legten zunehmend Wert auf symphonische Musikstrukturen, Verwendung von Erinnerungsmotiven und ausgefeilter Instrumentationstechnik. [1]

»Scapigliatura« (Zügellosigkeit) bedeutet: eine Art >Jugendbewegung< als Reaktion auf die italienische Einigung, welche ihren Namen aus Cletto Arrighis (eigentlich Carlo Righetti) Roman La scapigliatura e il 6 febbraio (1861) erhalten hatte und sich aus einer antibürgerlichen Grundhaltung heraus für eine radikale Erneuerung auch der Künste einsetzte. [2]

Vor allem in den Opern von Giacomo Meyerbeer, die nun immer häufiger auf italienischen Bühnen erschienen, erblickten führende Kritiker und Theoretiker, unter ihnen auch Komponisten, wie Abramo Basevi, Arrigo Boito, Filippo Filippi, Corinno Mariotti und Alberto Mazzucato, ein Modell zeitgemäßer Musikdramatik, das sie zur Nachahmung empfahlen bzw. an dem sie sich in ihren eigenen Opern zu orientieren suchten. Dabei ging es noch zu Beginn der 1860er Jahre vordringlich um die Entwicklung eines neuen Stils, nicht um die Schaffung einer neuen Gattung, wenngleich die Grenzen zwischen beiden natürlich fließend sind.

[1] von Christina Schmidt: Redaktion des Theaters Regensburg [Loreley 2002]

[2] aus Handbuch der musikalischen Gattungen / hg. von Siegfried Mauser. - Laaber-Verl.
Bd. 13. Döhring, Sieghart / Henze-Döhring, Sabine: Oper und Musikdrama im 19.Jahrhundert. - 1997

 

Vertreter der SCAPIGLIATURA
  • Abramo Basevi [Komponist]

  • Arrigo Boito [Komponist]

    Arrigo Boito, ital. Schriftsteller und Komponist, * 24.2.1842 Padua, † 10.6.1918 Mailand.
    Schon 1853, mit 11 Jahren, begann Boito, Sohn eines ital. Malers und einer poln. Gräfin, am Mailänder Konservatorium zu studieren und schloss das Studium 1861 ab mit 2 Kantaten, zu denen er die Texte verfasst und, zusammen mit Franco Faccio (1840-1891), die Musik komponiert hatte.
    Während seiner Reisen durch Frankreich, Polen und Deutschland entstand sein Text zur Kantate >Inno delle nazioni<, die Verdi für die Pariser Weltausstellung 1862 vertonte. Vielseitig auch als Schriftsteller tätig, beschäftigte er sich damals bereits mit Plänen zu einer Faust-Oper, dem späteren "Mefistofele" (1868 an der Scala uraufgeführt), und einer Oper mit dem Titel "Nerone". Für Faccio schrieb er das Textbuch zu "Amleto" (Hamlet).
    Stark von der "literarischen Romantik" Frankreichs und der dt. Musik, [besonders von Richard Wagner] angezogen, gehörte Boito in Mailand dem fortschrittlichen Dichterkreis der »Scapigliatura« an. Während er Opernübersetzungen und Musikeditionen vorbereitete, u.a. von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" sowie Richard Wagners "Rienzi" und "Tristan", arbeitete er an einer Revision seines Mefistofele.
    Boito hat immer auch Libretti für andere Komponisten, teilweise unter dem Anagramm Tobia Gorrio, verfasst, u.a."La Gioconda" für Amilcare Ponchielli (1876). Für Eleanora Duse, mit der ihn eine lange Freundschaft verband, schuf er eine ital. Version von Shakespeares "Antony and Cleopatra" (1888).
    Als Höhepunkt seines künstlerischen Lebens betrachtete Boito seine Zusammenarbeit mit Giuseppe Verdi, für den er die Revision des Simone Boccanegra (1881) sowie die meisterhaften William Shakespeare-Adaptionen"Otello" (1887) und"Falstaff" (1893) schrieb.
    Die Arbeit an seiner eigenen Oper "Nerone", deren 1901 veröffentlichtes Textbuch großes Aufsehen machte, hat Boito nie abgeschlossen - die Uraufführung des von Arturo [Alessandro] Toscanini, Antonio Smareglia und Vincenzo Tommasini vollendeten Werkes fand erst 1924 statt.

  • Alfredo Catalani [Komponist]
    *19.6.1854 Lucca, †7.8.1893 Mailand.
    Wie Giacomo Puccini, sein Lucceser Landsmann, entstammte Catalani einer Musikerfamilie, und wie er hat sich Catalani eine gewisse Unabhängigkeit vom realistisch-sozialkritischen Stil des »Verismo« (für den Mascagni und Leoncavallos Werk bezeichnende Beispiele bietet) bewahrt. Er studierte u.a. bei Puccinis Onkel Fortunato Magi in Lucca sowie ab 1872 in Paris und später in Mailand. Dort schloss er Freundschaft mit Arrigo Boito und Antonio Ghislanzoni, trat der »Scapigliatura«, einer gegen alle künstlerischen Konventionen rebellierenden Bewegung, bei und fand Aufnahme in den berühmten Salon der Clara Maffei. Als Nachfolger Amilcare Ponchiellis unterrichtete er 1886 am Konservatorium in Mailand. Wie bei mehreren seiner ital. Zeitgenossen, A.Ponchielli, P.Mascagni, R.Leoncavallo, U.Giordano und anderen, hat von seinen Opern nur ein einziges Werk überlebt: "La Wally"(1892), eine von Verdi geschätzte und von Toscanini - er nannte seine Kinder nach den Rollen Wally und Walter - geliebte Oper. Schon Catalanis Abschlussarbeit am Mailänder Konservatorium war eine Oper "La falce" (1875); es folgten das Dramma fantastico "Elda" (Turin 1880), das erst in der Umarbeitung unter dem Titel "Loreley" (Turin 1890) Erfolg hatte, das Dramma lirico "Dejanice" (Mailand 1883) und "Edmea" (Mailand 1886). Seine Oper "Nella selva" nach Tolstoj konnte Catalani, der an Tuberkulose starb, nicht mehr vollenden.

  • Giovanni Camerana

  • Tranquillo Cremona [Illustrator]

  • Carlo Dossi (C.Dossi glaubt, einzig der Begriff carnalismo [carnalità=Sinnlichkeit] sei der geignete Begriff, nicht aber verismo oder realismo.)

  • Franco Faccio [Komponist & Dirigent]
    *8.3.1840 Verona, †21.7.1891 Monza.
    1855 trat er ins Mailänder Konservatorium ein, wo er mit Boito Freundschaft schloß. Zusammen schrieben sie 1860 zwei patriotische Kantaten, und (1863) wurde Faccio's erste Oper "I profughi fiamminghi / Die flämischen Flüchtlinge" an der Mailänder Scala aufgeführt. 1865 entstand auf einen Text Boito's die Oper "Amleto". Ab 1868 beschränkte er sich aufs Dirigieren und kam ein Jahr später an die Scala, wo er durch die Aufführung der revidierten Fassung der Oper "La Forza del destino" Verdis Bekanntschaft machte. 1871 wurde er Chefdirigent des Hauses; leitete zahlreiche Erst- und Uraufführungen (u.a. 1887 "Otello"). In seinen letzten Jahren setzte er sich besonders für Wagner in Italien ein. Faccio war einer der bedeutendsten ital. Dirigenten und hatte eine Mittlerstellung zwischen Toscanini und Mariani inne.

  • Filippo Filippi [Komponist]

  • Corinno Mariotti [Komponist]

  • Alberto Mazzucato [Komponist & Dirigent]
    *28.7.1813 Udine, †31.12.1877 Mailand.
    Erste Opern waren "La fidanzata di Lammermoor / Die Braut von Lammermoor" nach W. Scott (1834) und "Don Chisciotte" (1836). Der Grand Opéra folgten "Esmeralda" nach Victor Hugo (1838) und "I Corsari / Die Korsaren" (1840); auch "Ernani" (1843). Unterrichtete ab 1840 am Mailänder Konservatorium, dessen Direktor er 1872 wurde; seine Schüler waren u. a. Antonio Carlos Gomes und Arrigo Boito. Gehörte der Gazetta musicale di Milano an (1845–58); war Kapellmeister an der Mailänder Scala (1859–68).


  • Emilio Praga [Librettist]

  • Igino Ugo Tarchett

 

Scapigliatura (ital., Zügellosigkeit, zu scapigliato, Struwelkopf, Bohemien).
Vornehmlich literarische Bewegung in Mailand um 1860 bis etwa 1880, benannt nach dem Roman La scapigliatura e il 6 febbraio von Cletto Arrighi (1861), der das Leben einer Bohemienfamilie schildert. Ihre Vertreter, zu denen auch Maler und Musiker gehörten, verweigerten sich der bürgerlichen Ästhetik und deren Konformismus, wandten sich gegen die Weiterführung romantischer Kunstprinzipien und strebten eine Verschmelzung der Künste an. Anregung empfingen sie durch Charles Baudelaire (Les fleurs du mal), Charles Dickens, Ernest Theodor Amadeus Hoffmann u.a. Zu den musikalischen Hauptwerken der Scapigliatura gehört Boito's "Mefistofele", mit dem der Komponist die nordischen Modelle in die ital. Kultur einführen wollte.
Mascagni und Leoncavallo gehören mit einigen ihren Werken der Scapigliatura an, außerdem der junge Puccini ("Edgar", "Le Villi"), dazu Franco Faccio ("Amleto"), Luigi Mancinelli ("Ero e Leandro"), Alfredo Catalani ("Loreley" und "La Wally") und Amilcare Ponchielli ("I Lituani"). Verdi ließ sich in seinem "Otello" von den Ideen der Scapigliatura inspirieren.
Die bedeutendsten Diven dieser Epoche waren: Maddalena Mariani-Masi (1850–1916), Medea Borelli (1861–1924), Romicela Pantaleoni (1847–1917) und Elena Theodorini (1858–1925).

Giovane Scuola (ital., Junge Schule). Bewegung in der Literatur, Kunst und Musik Italiens, die sich gegen Ende des 19. Jh.s mit dem Ziel bildete, die provinzielle Enge der ital. Kultur zu überwinden. Mascagni, Leoncavallo, Giordano, Cilèa, Franchetti und Puccini werden dieser Strömung zugerechnet; im 20. Jh. vertraten Respighi und Malipiero die Ideale der Giovane Scuola.

auch als Fin du Siècle oder Musikalische Moderne bezeichnet

 

 

Von der Scapigliatura hin zum Verismo bis zur Generazione dell'Ottanta und dem postmodernen Verismo
Eine grobe Übersicht
(Beim Firefox-Browser muss bei Ansicht eventuell 1x vergrößert werden, damit die Darstellung stimmt)
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Scapigliatura
Giovane scuola
Verismo
postmoderner Verismo
Mazzucato (1813-1877)
Lehrer von Gomes und Boito
— La fidenzata di Lammermmor 1834
Mazzucato (1813-1877)
— Ernani 1843

Gomes (1836-1896)
— A noite do castelo 1861
Gomes (1836-1896)
— Il Guarany 1870
Gomes (1836-1896)
— Lo schiavo 1889
Faccio (1840-1891)
— Amleto 1865
Ponchielli (1834-1886)
— I lituani 1874
Ponchielli (1834-1886)
— La Gioconda 1876
Ponchielli (1834-1886)
— Marion Delorme 1885
Bizet (1838-1875)
— Carmen 1875
Boito (1842-1918)
— Mefistofele 1875
Boito (1842-1918)
— Nerone 1924
Mapelli (1855-1913)
— Anna e Gualberto 1884
Mascagni (1863-1945)
— Cavalleria rusticana 1890
Mascagni (1863-1945)
— Il piccolo Marat 1921
Mascagni (1863-1945)
— Nerone 1935
Catalani (1854-1893)
— Loreley 1890
Leoncavallo (1857-1919)
— I pagliacci 1892
Leoncavallo (1857-1919)
— Gli zingari 1912
Coromaro (1863-1916)
— Festa a Marina 1893
Catalani (1854-1893)
— La Wally 1892
Cilea (1866-1950)
— La Tilda 1892
Cilea (1866-1950)
— L'Arlesiana 1897
Cilea (1866-1950)
— Gloria 1907
Giordano (1867-1948)
— Mala vita 1892
Giordano (1867-1948)
— Fedora 1898
Giordano (1867-1948)
— Il re 1929
Massenet (1842-1912)
— La Navarraise 1894
Smareglia (1854-1929)
— Nozze istriane 1895
Manchinelli (1848-1921)
— Ero e Leandro 1897
Bruneau (1857-1934)
— Messidor 1897
Franchetti (1860-1942)
— Asrael 1888
Franchetti (1860-1942)
— Germania 1902
Charpentier (1860-1956)
— Louise 1900
Monleone (1875-1942)
— Cavalleria rusticana 1907
Alfano (1876-1954)
— Risurrezione 1904
Dupont (1878-1914)
— La Cabrera 1904
Puccini (1858-1924)
— Le villi 1884
Puccini (1858-1924)
— Edgar 1889
Puccini (1858-1924)
— La bohème 1896
Puccini (1858-1924)
— Tosca 1900
Puccini (1858-1924)
— Turandot 1926
Verdi (1813-1901)
— Oberto 1839
Verdi (1813-1901)
— Otello 1887
Orefice (1865-1922)
— Il gladiatore 1898
Franchetti (1860-1942)
— La figlia di Iorio 1906
Montemezzi (1875-1952)
— Giovanni Gallurese 1905
Montemezzi (1875-1952)
— L'amore dei tre re 1913
Montemezzi (1875-1952)
— L'incantesimo 1943
Zandonai (1883-1944)
— Conchita 1911
Zandonai (1883-1944)
— Francesca da Rimini 1914
Zandonai (1883-1944)
— La farsa amorosa 1933
Wolf-Ferrari (1876-1948)
— I gioielli della madonna 1911
Respighi (1879-1936)
— Semirama 1910
Respighi (1879-1936)
— Lucrezia 1937
Pizzetti (1880-1968)
— Fedra 1915
Menotti (1911)
— The consul 1950
Tutino (1954)
— La lupa 1990
Pizzetti (1880-1968)
— Assassinio nella cattedrale 1958
Malipiero (1882-1973)
— L'orfeide 1925
Malipiero (1882-1973)
— Il figliuol prodigo 1957
Casella (1883-1947)
— La donna serpente 1932
La generazione dell'Ottanta

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Link zum Seitenanfang   Zuletzt überarbeitet am: 02.12.2015  
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